Lolito - Ungewöhnliches Portrait der Digital Native-Generation


"Ich schließe meine Zimmertür, krieche ins Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf. Amundsen kratzt an der Tür. Ich beschließe rauszufinden, ob es Chatrooms noch gibt. Erwachsenensexchatrooms. Die, in denen ich in Informatik unterwegs war, als es sonst nichts zu tun gab. Chatrooms voller Leute, die sich bei der Arbeit langweilen oder zu Hause oder mit dem Alleinsein. Wo Leute nicht wirklich was sagen, sie tippen nur, weil, was sonst." (S. 40) 

Nachdem er übers Internet erfahren muss, dass ihn seine langjährige Freundin auf einer Party betrogen hat, fällt der fünfzehnjährige Etgar in ein tiefes Loch. Weder seine Freunde noch die unendliche Unterhaltungsflut im Netz kann ihn aufheitern. Bis sich Etgar eines Tages in einem Erwachsenenchatroom als vierzigjähriger Mann ausgibt und dort Macy kennenlernt. Sie scheint ihn besser zu verstehen als jeder andere und sehr schnell wird aus der Online-Affäre mehr. Doch als Macy ihn auch in Echt treffen will, muss Etgar sich doch fragen, ob er wirklich bereit ist für den Schritt in die Realität? Und wie soll das mit ihnen beiden überhaupt funktionieren, bei dem riesigen Altersunterschied?



                                                              Meine Meinung                                                             

Während meiner Teeniezeit war das Internet gerade erst im Kommen, alles war noch total neu und ungewohnt. Schaut man sich jedoch die Teenager heutzutage an, dann ist das, was für mich noch so wundersam war, für sie vollkommen normaler Alltag. Sich über Facebook auszutauschen, chatten, sich die irrsten Videos im Netz angucken, online shoppen - alles selbstverständlich. Zu eben dieser Generation gehört Etgar, der Hauptcharakter von Lolito. An seiner Seite erhalten wir einen Einblick in das Alltagsleben eines fünfzehnjährigen Jungen, der uns zeigt, welche Erfahrungen Jugendliche heutzutage mit dem Wunder Internet machen und wie es ihr Leben bestimmt. 

Auch wenn es von der Aufmachung und dem Klappentext her vielleicht so wirkt, ist Lolito doch kein Jugendbuch und mit dieser falschen Haltung sollte man an dieses Buch meiner Meinung nach auch nicht herangehen, sonst könnte man enttäuscht werden. Und das würde dem ungewöhnlichen Buch nicht gerecht werden. Etgars Geschichte ist ziemlich ruhig und bedächtig und besteht aus vielen kleinen Alltagseinblicken. So erleben wir, wie er sich auf einer Party prügelt, in den Ferien zuhause rumhängt und sich Filme oder abgefahrene Videos im Netz anschaut. Alles, um nur nicht an seine Exfreundin denken zu müssen. Ablenkung findet er auch im Chat mit Macy. Die ist eine erwachsene Frau mit Kindern, die Etgar ebenfalls für einen erwachsenen Mann hält. Was mit harmlosen Unterhaltungen beginnt, entwickelt sich bald schon zum Cybersex und mehr. Etgar entwickelt echte Gefühle, aber kann das gutgehen? 

Die Online-Affäre mit Macy bildet zwar die Rahmenhandlung des Buches, die Geschichte setzt sich aber eher aus Kleinigkeiten zusammen. Eigentlich passiert gar nicht viel, aber trotzdem hat es sich irgendwie flüssig und interessant weggelesen. Lolito zeichnet nämlich ein unterhaltsames Portrait der sogenannten Digital Native-Generation. Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden im Internetzeitalter, bei der ich mich doch öfter gefragt habe, ob pubertierende Jungs wirklich so sind? :-D

Ben Brooks Stil ist etwas eigen, denn Etgars Erzählweise wirkt eher distanziert, er erzählt sachlich und trocken, aber auch sehr unverblümt von seinem Alltag. Über Masturbation und den Cybersex mit Macy wird hier genauso offen gesprochen wie über den Spaziergang mit dem Hund oder darüber, sich einen Tee aufzusetzen. Gerade deshalb wirkt die Geschichte aber auch so ehrlich und nicht reißerisch, als könnte sie tatsächlich genau so gerade irgendwo passieren. Dieser sachliche Stil hat aber auch dafür gesorgt, dass ich keine wirkliche emotionale Verbindung zu Etgar herstellen konnte, weshalb das Buch insgesamt keine großen Emotionen in mir ausgelöst hat. 

Das ist schade, denn die Charaktere sind eigentlich ziemlich vielschichtig; besonders Macy, deren komplexe Hintergrundgeschichte nur durch sehr wenige Sätze kurz angerissen wird. Obwohl die Thematik des minderjährigen Teenagers, der etwas mit einer älteren Frau anfängt, natürlich brisant ist, werden Fragen nach Moral hier nicht lang und breit diskutiert. Kein Wunder, immerhin wird die Geschichte von Etgar erzählt, und dem ist der moralische Aspekt ziemlich schnurz :-) 

Etwas enttäuscht war ich, dass das Ende recht schnell abgehandelt wird, denn die Geschichte baut sich eigentlich ziemlich langsam auf, endet nach dem Höhepunkt aber sehr abrupt. So bekommt man eher nur einen kurzen Einblick in Etgars Leben, der aber genau so schnell wieder vorbei ist.
Trotz der Kritik war Etgars Geschichte für mich ein interessantes Leseerlebnis. Lolito ist sicherlich kein Buch für jedermann, denn es ist einfach anders, aber gerade das hat mir daran gut gefallen. 


Lolito - Ben Brooks
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: Atrium Zürich (20. Februar 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3855350558


2 Kommentare:

  1. Huhu!

    Von der Grundidee her finde ich es ja ganz interessant, aber ich glaube, da muss ich erstmal reinlesen, ob ich mit dem sachlichen Schreibstil klarkomme.

    Nur wenn du Lust hast: ich habe dich getaggt für den "Cover Element TAG":
    http://mikkaliest.blogspot.de/2015/03/tag-der-woche-cover-element-book-tag.html

    LG,
    Mikka

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    1. Huhu Mikka, danke fürs Taggen, ich gucke mir das gleich mal an.
      Ja, lies dir ruhig lieber vorher eine Leseprobe durch, ich glaube, das Büch wird nicht jedermanns Sache sein.

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